Frost
In der klirrend kalten Nacht, eingehüllt in den schützenden Kokon seines Schlafsacks, funkeln die Sterne wie verstreute Diamanten am prunkvollen Himmelszelt. Ein gewölbtes Firmament erstreckt sich über ihm, während die Kälte ihn bei jedem Atemzug umschlingt, der wie ein Nebel in der Dunkelheit aufblüht. Das silberne Licht des Mondes legt sich sanft auf das schneebedeckte Gras und die Wesen, die in der Stille der Natur leben. Die Nacht atmet tief und geheimnisvoll.
Seine Gedanken schweben lumineszierend, Erinnerungen, die im Frost gefangen sind, flattern wie kleine Vögel im Zwielicht. Der Klang seines Herzens schlägt synchron mit dem leisen Knacken der gefrorenen Gräser, klirrend wie die Glieder des Knochenmanns. Der schimmernde Atem der Natur erhebt sich zu einem wortlosen Chor. Eingehüllt liegt er in seinen Winterschlafsack, während die Kälte schleichend und knurrend durch die Nähte dringt, als wolle sie ihm die Träume stehlen.
Was sind wir doch für fragile Wesen in dieser grandiosen, frostigen Einsamkeit der Nacht? Gedanken rollen wie die Dünung an den Strand, die Wipfel der Bäume flüstern, ihre Blätter von Reif überzogen. Und doch ist da ein Licht im Herzen, das ihn leitet, ein geschützter Geist. Er hört das Rascheln der Blätter, das Knacken der Zweige, das Murmeln der Wolken, die über die Nacht hinwegziehen.
Der Schlaf will kommen, kriecht zart und betörend in seinen Kokon. Und die Sterne, oh die Sterne, sie öffnen ihm die Augen. Ihr Funkeln, ihr Glitzern, unendliche Geschichten in jedem lichten Punkt, jeder ein Echo eines Traums, eines Wunsches, eines Lebens, das wir hinterlassen.
Kalt, ja bitterkalt, aber die Seele brennt, sie flackert wie das Licht des Feuers, das er entfacht hat. Es nahm ihn in seine Mitte, mit ausgestreckten Händen, die die Wärme suchen. Und als er in Gedanken an die tägliche Mühe versank, schloss er die Augen, und die Nacht hüllte ihn ein, ein sanfter Schleier. Die Zeit hielt an, nur kurz, für einen Herzschlag. Die Kälte blieb, doch in dieser Nacht, unter dem sternenübersäten Himmelszelt, war er ganz. Intakt. Ruhe, verloren und gefunden zugleich, in der frostigen Umarmung der Nacht.
Er war der Mond, die Sterne, die Bäume, das Gras. Der Frost war er und er war der Frost. In der traumlosen Nacht war er der Traum und der Traum war er. Wie das Gras stand er beieinander, von Reif überzogene Blätter. Als Stunden vergingen, wanderte er mit dem Mond am Firmament. Die Dimensionen lösten sich auf, die Nacht war Tag und der Tag war Nacht. Der Weltenlauf lag in seiner Hand und er reichte sie der Welt. Leise Stimmen drangen an sein Ohr, ein Fiepen, ein leises Zwitschern, ein frostiges Gagsen und Quietschen. Mühselig rollte er von einer Seite zur anderen und hielt die Weltmaschine in Gang. Das Knarzen wurde zum Knacken der Äste und Bäume, die mit ihren Tentakeln Schatten aufs Gras warfen. Im Geäst saß der Mond fest. Ein kleiner Kobold, körperlos, ganz in ihm, befreite ihn. Ansonsten wollte er nicht viel, in dieser Nacht.
Um sich vor der Kälte zu schützen, hatte er ein Tuch über Mund und Nase gezogen. Langsam atmete er ein, atmete aus. Atemzug für Atemzug. Das ungewohnte Gefühl löste die Mundatmung aus, als ob er ersticken würde. Fauliger Atem pestete ins Tuch, lautes Schnarchen drang durch die Stille. Auf dem äußeren Schlafsack bildete sich eine zarte Eiskruste. Im Kokon war es mollig warm und flauschig weich.
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