Seit März arbeite ich an LF Diary. Ich beobachte dabei, wie sich meine Bestrebung, die Grauwerte aus den Bildern zu entfernen, Gestalt annimmt.
In der Nachbearbeitung der Aufnahmen passiert im Grunde nicht viel. Ich setze lediglich die Pixel, einem Mosaik gleich, jeweils neu zusammen. In der Nulldimensionaltät gibt es nichts Greifbares.
Immer wieder frage ich mich, wo der Ursprung der Aufnahmen, die ich anfertige, ist. Oder: Was die Aufnahmen, die ich anfertige, zeigen.
Die Aufnahmen falten sich auf in der Fläche. Und doch sind es nur Ansammlungen von Punkten (Pixeln). Die zu Flächen verklumpten Pixel geben dem Betrachter halt, durch ihre bildsprachlichen Elemente, die erkennbaren Formen, die groben Grauwerte. Die Formen können interpretiert werden. "Ah, der Dom. Ach, die A3-Brücke über die Lahn. Sieh an, der Neumarkt. Ja, auf dem Stadtflohmarkt war ich auch schon. Und dem Bischof sein Haus. Die Bilder informieren nicht. Sie aktivieren zufällig Erinnerungen (innere Bilder? Ikonisches Wissen?) im Betrachter.
Die Formen rufen beim Betrachter innere Bilder hervor, die sich aus Erinnerungen (ikonisches Wissen) speisen.
Zuletzt war ich auf dem Hauptfriedhof in Limburg. Das war angenehm. Zur Ruhe kommen. Sich erden. Respekt den Trauernden. Gesenkte Stimme.
Hier und da die Leica ans Auge gehalten. Und nach dem inneren Schema den Bildausschnitt bestimmen und abdrücken.
Ich fotografiere nicht, was der Wirklichkeit entspricht. Sondern ich gestalte das Bild nach meinen inneren Bildern, die ich über die Wirklichkeit lege.
Dazu die selbstauferlegte Vorgabe. Keine Namen. Keine Daten. Pietät wahren.
Im Vorbeigehen einen alten Mann fotografieren. Großes Grab. Ein Name. Ein Frauenname. Seine Frau? Wahrscheinlich. Bestimmt.
Ich agiere, wie ich es mir selbst als Konzept auferlegt habe. Ich bin das Subjekt, was das Gegenüber zum Objekt macht. Mein Selbst und das Sein im Jetzt spielt bei diesem Prozess keine Rolle. Subjekt im Subjekt sein.
Manches findet nur in meinem Kopf statt.
Eindrücke bestimmen das nächste Leben. In jedem Bewusstseinszustand. Schlafend, träumend. Schlafend, nicht träumend. Tagträumend.
Wer bewegt die Welt?
Was denkt mich? Was lässt mich Bilder machen? Was lässt mich sprechen? Welches Selbst?
Einbildner
Die Bilder, die ich anfertige, sind synthetische Bilder. Fotografie ist Synthese. Fotografien zeigen keine Wirklichkeit. Fotografie ist immer nach außen gewendeter Sinn. Der Fotograf, also ich, befinde mich in dem Bewusstseinszustand, mit nach außen gewendeten Sinnen. Fotografie wird nur der äußeren Welt gewahr. Und speist sich aus dem inneren Selbst. Ist dieses Selbst eins mit dem Außen (Wirklichkeit), dann kann die Fotografie die Wirklichkeit bedeuten. Der Bewusstseinszustand hat auf den programmierten Automaten (Leica) keinen Einfluss.
Fotografieren ist immer jetzt. Die Fotografie ist immer Vergangenheit. Der gute Fotograf spürt zukünftige Ereignisse und weiß sie im Jetzt zu erfassen.
Der Fotograf oszilliert immer zwischen Erwartung und Erinnerung. Wie bewirken Erwartung und Erinnerung das Jetztbewusstsein? Im Sehen ist nur das Sehen selbst. Sehe ich, wenn ich fotografiere? Fotografiere ich, was ich sehe? Vielleicht sehe ich und fotografiere ich. Aber ich sehe nicht, was ich fotografiere.
Was bewirken die Bilder in mir? Wann entstehen diese Bilder? Wenn ich im Traumzustand bin? Was träume ich dann?
Spüre ich die zukünftige Ereignisse in ihrer Ausprägung oder spüre ich die Erwartung an die Zukunft (induzierte Bilder)?
Die Leica macht, was ich will und doch kann ich nur wollen, was die Leica kann.
Service
Vilém Flusser, ins Universum der technischen Bilder, ISBN 978-3923283682
Deleuze/Guattari, Tausend Plateaus, ISBN: 978-3-88396-094-4
Die Upanishaden, ISBN: 978-3442218264
LF Diary - Hauptfriedhof Limburg