In meinem Leben gab es schon einmal den Zustand, an dem die Welt am Abgrund stand. Damals, 1986. Ost und West standen sich unversöhnlich gegenüber. Die Friedensheinis, wie wir sie abwertend bezeichneten, hatten die Stationierung der Pershing-2 Raketen nicht verhindert. Die Startbahn West wurde trotz Widerstand einer ganzen Region, gebaut. Und als dann noch ein Reaktor in der Ukraine den Leuten um die Ohren flog und der Fall-Out unsere Spielplätze verseuchte, da reichte es uns und wir zogen mit aller Vehemenz nach Wackersdorf, um den Blödsinn der WAA zu verhindern.
Seit dem ist viel passiert. Die WAA wurde nicht gebaut1. Wir in Rhein-Main flogen auch mal in den Urlaub und nutzten dafür die Startbahn West. Zusammenhänge zerfielen, Netzwerke lösten sich auf. Erzählungen endeten, teils abrupt. Biografien nahmen unvermutete Wendungen.
Der Lange Marsch ins Private und in die Berufswelt
Ein kurzer Abstecher in die Kunstwelt raubte mir den letzten Nerv und die Lust an Fotografie und Menschen. Selten habe ich es mit jämmerlicheren Gestalten zu tun gehabt. Als dann noch eine Meute Herrn Ammann, den ich zu einem Gespräch eingeladen hatte, im Foyer des Kunsthauses abpasste, um dem Museumsdirektor Kunstmappen aufzudrängen, verstand ich die Welt nicht mehr. Hier war ich nicht zu Hause.
Ich wurde Vater und konzentrierte mich auf das Geld verdienen.
Tief im in mir brodelte es und ich konnte es nicht lassen, Freunde zu kleinen Events einzuladen und Dinge anzustoßen.
Unbekümmert schlich sich das Internet in mein Leben. Allways on, sagte Bernhard. Und so war es auch. Mit den ersten billigen Digicams begrüßte ich das Ende der analogen Fotografie.
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Viele Jahre später befinde ich mich in einer ermüdeten, einer ausgebrannten Gesellschaft. Einer Gesellschaft, der die Erzählungen abhanden gekommen sind. Einer Informationsgesellschaft, in der der Konsum zur Religion geworden ist.
Mittels Techniken kann ich Informationen jederzeit, an jedem Ort aufnehmen und aneinanderreihen. Ich scrolle durch die Timeline der Werbekanäle und komme mir vor, wie ein Junkie, der mit der sinnlosen Sucht nach Ereignissen nicht aufhören kann. Wahllos spült mir der Algorithmus Erschreckendes und Lustiges in nicht erklärlicher Logik auf meinen Bildschirm. Längst habe ich es aufgegeben, die Inhalte selbst zu bestimmen.
Der Andere
Der meinen Geist erwachen lässt
Und durch den ich die Negativität
Den unendlichen Schmerz
Ertragen kann
Löst sich in der Positivität des digitalen auf
So bin ich alleingelassen
Erschöpft
Und sehne mich nach dem Ende der Welt
Willkommen in der Apokalypse
Die mir verspricht
Der Unerträglichkeit des Schmerzes
Zu entfliehen
Mögen die Polkappen schmelzen
Die Inseln im Meer versinken
Die Gletscher verschwinden
Die Arten aussterben
Nur schnell soll es gehen
Mit einem Wums
Damit ich das tote Sein
Das Dahinvegetieren
In der Transparenzgesellschaft
Nicht mehr ertragen muss
KI und die Zukunft
Welch ein Hohn! KI ist alles, nur keine Zukunftserzählung. Technik ist keine Zukunftserzählung. Information ist keine Zukunftserzählung. Daten sind keine Zukunftserzählung. KI ermöglicht keine Zukunft. Sie produziert eine Momentanwirklichkeit, die uns in der Gegenwart gefangen hält.
Erzählungen bedürfen der Innerlichkeit. Daten und Informationen haben diese Innerlichkeit ausgetrieben. Daten und Informationen wollen berechnet, gezählt, zu Haufen gebildet werden. Informationen bedürfen des Moments, um Moment an Moment zu reihen. Die Aneinanderreihung ergibt jedoch keine Erzählung. Die Erzählung lebt von dem “Es war einmal”, dem “Damals” und der Unverhofften Verbindung von Ereignissen. Die Erzählung verbindet, während die Information aneinanderreiht.
Die digitale Fotografie ist ein Punktmedium und ausserstande, eine Erzählung zu sein. Digitale Fotografien meinen nichts. Sie sind lediglich Lieferanten für Daten.
Wir müssen uns bewusst sein, dass die Helle Kammer eine Trauerarbeit ist.
Nur so ergeben die Aussagen zur Fotografie einen Sinn.
Boris E. skandalisiert etwas
Das bewusst auf falschen Annahmen beruht
Er hat entweder nicht verstanden
Dass sich die digitale Fotografie schon längst vom Realen gelöst hat
Dass sie längst die Helle Kammer verlassen hat
Oder
Er verkauft uns für dumm
Die digitalen Gespenster haben uns im Griff
Sie sind schamloser
Gefräßiger
Lärmender
Die Welt ist
Mit dem Internet der Dinge
Noch
Gespenstischer geworden
Das die Welt
So wie wir sie kannten
Zugrunde richtet
Die digitale Fotografie ist, in ihrer Abgewandheit vom Realen, mehr denn je der Malerei sehr nah. Wie die Malerei, enthält die digitale Fotografie keinen Verweis mehr auf den realen Referenten. Sie referenziert nichts mehr.
Die analoge Fotografie repräsentiert
Da sie die Strahlen
Die vom Objekt auf die empfindliche Emulsion auftreffen
Das Objekt dort einbilden
Und so abbilden
Jedoch nicht das Objekt darstellen (sind)
Die digitale Fotografie enthält keinen Verweis mehr auf den realen Referenten
Sie nähert sich so der Malerei an
Die digitale Fotografie ist realer als das Reale
Sie ist eine Hyperfotografie
In der Arbeit „Hyperrealistische Komposition“ haben wir (FfK) dies schon in den 90er beschrieben.
Allerdings mit den Mitteln der analogen Fotografie
Diese konnte noch aufscheinen und wieder verschwinden (verblassen)
Digitale Fotografien können nicht verblassen
Die digitale Fotografie hat sich vollständig vom Referenten abgekoppelt
Das nennt man auch die Krise der fotografischen Repräsentation
Die Krise
So Boris E.
Verschärfe sich durch KI
KI repräsentiert nicht
KI ist Malerei
Sie repräsentiert nicht das Reale
Wie einst die Fotografie
Sie repräsentiert allenfalls die Gedanken des Betrachters und des Schöpfers
Sie ist auf sich selbst bezogen
Sie ist narzisstisch
Sie ist selbstreferenziell
Ihr fehlt der Bezug zum Realen
Apokalypse, yeah
Die Informationsgesellschaft ermüdet
Das Individuum
Und die Gemeinschaften
Die zerfallen
Ein Morgen
Eine Zukunft
Wird undenkbar
So dass die
Apokalypse
Zur einzigen
Positiven
Utopie wird
Die uns aus der ewigen Gegenwart
In der uns die Gespenster der Information
Und der digitalen Welt
Gefangen halten
Zu befreien vermag
Denkbilder
Die digitale Fotografie meint nicht Fotografien, die mit digitalen Bildgebungsverfahren erstellt wurden. Digitale Fotografie beschreibt das Universum der Datengenerierung und -verwertung, die mit einem Apparat beginnt und durch die Informationsmedien auf die Bildschirme der Konsumenten gespült werden. Digitale Datenhaufen, die substanzlos und inhaltsleer gefingert werden. Ich kann diese Datenhaufen nicht mehr in die Hand nehmen, nur noch mit den Fingern wegwischen, weg-fingern.
Denkbilder2 sind immer analog. Als Abzug vorhanden. Oder in Heft- oder Buchform zugänglich. Denkbilder laden ein, Geschichten zu erzählen. Denkbilder ermöglichen Erzählungen.
Heilung beginnt mit der Erzählung einer Geschichte. So wie die Mutter (Vater) das kranke Kind ins Bett bringt, sich zu ihm setzt und ihm eine Geschichte erzählt. Oder wie die Schamanen von Bären oder anderen Krafttieren erzählen.
Erzählen schafft Urvertrauen. Erzählungen helfen Krankheit als Krise zu überstehen. Auch Hände sind heilend. Der Schamane und auch mancher Arzt berührt uns mit seinen Händen. Er begibt sich in Handlung. Er be-handelt und legt seine Hände auf uns und bringt so Heilung. Viele gehen zum Osteopathen, zur manuellen Therapie.
Die Protagonisten von Coupland3 begeben sich in die Wüste, um sich Geschichten zu erzählen. Ich selbst begebe mich regelmäßig in einen “Wüstentag”4, um Stille zu erfahren und mir selbst wieder Erzählungen zu ermöglichen.
Jede Blockade lässt sich mit dem Rhythmus des Erzählens aufheben. Das vermittele ich in meinen Taijiquan und Qigong Kursen. Qigong und Taijiquan sind Körpererzählungen.
Heilung besteht darin, sich vom Nichterzählbaren zu befreien, sich frei zu erzählen.
Wider die Logik der Effizienz
Im metalabor neun widersetzen wir uns der Logik der Effizienz und kommen für ein Wochenende zusammen, um der Zeit wieder zur Dauer zu verhelfen. Um uns Geschichten zu erzählen und den Duft der Zeit zu schnuppern.
Mehr zum metalabor hier: http://metalabor.org
Service
Byung-Chul Han, die Krise der Narration, Matthes & Seitz, 2023
Byung-Chul Han, im Schwarm, Matthes & Seitz, 2013
Vilém Flusser, Medienkultur, Fischer, 2008
Walter Benjamin, Denkbilder, in: sämtliche Werke, Pandora’s Box, 2019
Rikard Österlund, Self Portraits & other Scenes, Ampigt Förlag 2021
Olga Karlovac, escape, 2022
Trent Parke, Monument, Stanley/Barker, 2023
Zum Abschluss
Ich möchte Euch danken, dass ihr meinen Gedanken so hartnäckig folgt. Ich möchte denen, die mit mir auf Streifzüge gingen, danken. Ohne Euch wäre es stiller um mich. Ich möchte den metalaboranten danken, dass sie dieses möglich machten. Ohne euch gäbe es das metalabor ja gar nicht. Es wäre nur ein Traum. Ich möchte den Wintercampern danken, mit denen ich genüsslich das Jahr begonnen habe. Ich möchte meiner Tochter danken, dass sie uns alte, weisse Männer auf trab hält. Ich danke meiner Frau, obwohl sie noch keinen einen meiner Newsletter gelesen hat.
Für das neue Jahr habe ich mir weniger Aktivitäten verordnet. Ich weiss aber nicht, ob das gut geht.
Euch allen wünsche ich geruhsame Festtage und alles Gute und Frieden im Herzen. Kommt gesund in das neue Jahr. Auf dass wir uns dort wiedersehen!
Ankündigung
Aus Matserclass wird Erzählgemeinschaft
Bildet Erzählgemeinschaften!
GROB Erzählgemeinschaft 2024
Dérive & Alltag
Fotostreifzüge durch den Alltag. Geschichten Erzählen. Den Duft der Zeit ins rechte Licht setzen. Die Dinge auf sich zukommen lassen, auf freiem Feld (wie der Woid Woife sagen würde), direkt aus der Zukunft.
Teilnehmende melden sich an und senden in ihrem eigenen Rhythmus Fotoabzüge, selbst gemachte Bücher, Hefte oder Flugblätter, die Geschichten aus dem Alltag enthalten, an die anderen Teilnehmenden. Zum Herbst hin werden wir uns zusammenfinden und aus unserem Alltag erzählen.
Die wichtigste Aufgabe der Teilnehmenden ist es, eigene Erzählgemeinschaften zu bilden. Die GROB Erzählgemeinschaft unterstützt die Teilnehmenden mit Rat und Tat.
Erzählgemeinschaften sind zu 100 Prozent analog. Sie tun gut.
Anmeldung: http://grob-magazin.org/2023/12/20/masterclass-goes-erzaehlgemeinschaft/
Schlimmer noch: Das Haus der bayerischen Geschichte in Regensburg widmet dem Widerstand gegen die WAA eine eigene Abteilung und schreibt so unsere Geschichte um.
Denkbild ist die Bezeichnung für den von Walter Benjamin geprägten Begriff für einen Aphorismus oder eine philosophisch-literarische Miniatur, verstanden als erkenntnistheoretisches Modell, das ein Problem in bildhafter Formulierung ausdrückt.
Douglas Coupland, Generation X, 1991
Das Wort Wüstentage leitet sich von den vierzig Tagen Jesu in der Wüste bei Jericho ab, erinnert aber auch an die 40 Wanderjahre der Israeliten auf dem Weg ins Gelobte Land.